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Gewalt gegen Frauen – und wir schweigen? Eine Studie der UMIT TIROL

Häusliche Gewalt gegenüber Frauen wird von Außenstehenden häufig wahrgenommen. Trotzdem schreitet niemand ein oder bietet Hilfe an, wie eine Studie der Privatuniversität UMIT TIROL ergab. Daran könnte es liegen.

Häusliche Gewalt gegen Frauen passiert neben uns. In Wohnungen nebenan, auf Gängen, in Gesprächen, die wir zufällig hören. Auch in letzter Zeit stehen Femizide leider immer wieder auf der Tagesordnung. Gewalt in Paarbeziehungen wird häufig von außen wahrgenommen, aber trotzdem ignoriert. Eine neue, noch nicht peer-reviewte Studie von Master-Studierenden des Institutes für Psychologie der Privatuniversität UMIT TIROL zeigt in erschreckender Klarheit, wie groß die Lücke zwischen Wahrnehmen und Handeln ist.

Die Psychologinnen in Ausbildung Kathinka Enderle, BSc., und Olivia Sapinsky, BSc., untersuchten im Rahmen Ihrer Bachelorarbeiten unter der Leitung von Univ.-Ass. Dipl.-Psych. Can Gürer, MSc., die Reaktion Dritter auf den Gewaltbericht einer Betroffenen. „Eigentlich wollten wir sehen, was passiert, wenn Betroffene erzählen, dass ihnen Gewalt widerfahren ist. Wir wollten herausfinden, wie die Menschen reagieren, die das mit anhören und wollten daraus Empfehlungen für den Alltag geben, wie man am besten auf einen solchen Gewaltbericht reagiert – die Realität hat uns dann allerdings kalt erwischt.“, berichtet Olivia Sapinsky.

In der Laborstudie wurden Teilnehmende Zeug*innen eines inszenierten Gesprächs, in dem abwechselnd eine der Versuchsleiterinnen angab, durch ihren Partner häusliche Gewalt erfahren zu haben. Je nach Gesprächsgruppe wurde die Gewalt nüchtern oder entschuldigend geschildert. Danach blieben die Teilnehmenden zwei Minuten lang allein mit der vermeintlich betroffenen Leiterin – genug Zeit, um zu handeln.

„Wir haben bewusst eine realitätsnahe, aber sichere Situation geschaffen, in der jede Person etwas hätte sagen oder fragen können“, erklärt Kathinka Enderle. „Es ging nicht um eine Heldentat, sondern um ein Mindestmaß an Reaktion.“

Die Ergebnisse der Studie könnten eindeutiger nicht sein: Keine einzige Person reagierte. Keine Nachfrage, kein Unterstützungsangebot, kein Versuch, Kontakt aufzunehmen.

„Dass wir in 80 Fällen kein einziges aktives Eingreifen gesehen haben, war erschütternd – fachlich und persönlich“, sagt Kathinka Enderle. „Wir hatten nicht erwartet, dass wirklich niemand reagiert”, ergänzt Olivia Sapinsky.

Die anschließenden qualitativen Interviews zeigen jedoch, dass das Gesagte nicht überhört wurde, auch wenn die Hälfte der Personen dies berichtete. Viele waren überzeugt, es handle sich um eine wahre Situation. Weibliche Teilnehmende beschrieben häufiger Gefühle wie Betroffenheit, Sorge oder Verunsicherung. Teilnehmende mit konservativerem Rollenverständnis zeigten teils starke emotionale Reaktionen – und dennoch führte keine dieser emotionalen Reaktionen zu einer Handlung.

„Einige Menschen fühlten durchaus etwas, aber sie unternahmen nichts“, erklärt Can Gürer. „Genau diese Diskrepanz ist psychologisch zentral: Wahrnehmung reicht nicht. Emotion reicht nicht. Verantwortungsgefühl entsteht nicht automatisch.“

Warum blieb das Eingreifen aus? Die Interviews legen Ursachen offen: Unsicherheit. Angst, die Situation falsch einzuschätzen. Die verbreitete Vorstellung, Gewalt in Beziehungen sei eine „Privatsache“. Viele dachten, sie dürften nicht eingreifen – oder dass es nicht ihre Aufgabe sei.

„Diese Zurückhaltung ist kein individuelles Problem, sondern Ausdruck sozialer Muster“, betont Olivia Sapinsky. „Wenn wir Gewalt im Umfeld als etwas ‚Privates‘ behandeln, schützen wir nicht die Betroffenen, sondern jene, die Gewalt ausüben.“

Die Forschenden sind sich einig: Es braucht weder Mut noch Fachwissen, um den ersten Schritt zu machen – nur die Bereitschaft, nicht wegzusehen. „Es geht uns nicht um Schuldzuweisungen. Stattdessen wollen wir deutlich machen, wie viel schon ein einfacher Satz bewirken könnte: ‚Geht es Ihnen gut?‘ oder ‚Brauchen Sie Hilfe?‘“, ergänzt Can Gürer.

„Schweigen ist niemals neutral. Wer Gewalt hört oder ahnt, trägt Verantwortung – nicht dafür, das Problem allein zu lösen, sondern dafür, nicht wegzusehen“, sagt Kathinka Enderle abschließend. „Schweigen mag harmlos erscheinen – doch es ist eine Entscheidung. Und allzu oft zahlt jemand anderes den Preis dafür.“

Die Psychologie-Studierenden der Privatuniversität UMIT TIROL, v.l. Kathinka Enderle und Olivia Sapinsky, wollten wissen, wie Außenstehende reagieren, wenn Betroffene erzählen, dass ihnen häusliche Gewalt widerfahren ist.

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