29 UMIT TIROL [campus] Christiane Kreyer ist diplomierte Pflegeperson, studierte Pädagogik an der Universität Innsbruck und promovierte in Pflegewissenschaft an der UMIT TIROL. Sie lehrt und forscht als Assistenzprofessorin am Institut für Pflegewissenschaft der Privatuniversität UMIT TIROL und steht kurz vor ihrer Habilitation. Das Institut bildet mit der Division für Pflege- und Gesundheitspädagogik sowie der Division für Integrierte Versorgung das Department für Pflegewissenschaft und Gerontologie. „ ist ein ganzheitlicher Ansatz für Menschen in komplexen Krankheitssituationen.“ Sie ist interprofessionell – ärztliche, pflegerische, therapeutische und seelsorgerische Blickwinkel werden gleich ernst genommen. Sie rückt den Menschen in seiner begrenzten Lebenszeit und seine Familie in den Mittelpunkt – und trägt so zur Verbesserung der Lebensqualität bei. „Vor rund 15 Jahren zeigte eine aufsehenerregende Studie, dass Patient*innen mit einem Lungenkarzinom, die von Anfang an und konsequent von einem Palliativteam begleitet wurden, eine höhere Lebensqualität hatten und seltener mit aggressiven Tumortherapien behandelt wurden als die Vergleichsgruppe“, weiß Kreyer. Noch mehr Aufsehen erregte die im New England Journal of Medicine publizierte Studie der US-Onkologin Jennifer Temel von der Harvard Medical School aber durch den Umstand, dass die Patient*innen um drei Monate länger lebten, obwohl sie weniger Tumortherapie erhielten. „Dieses Ergebnis wurde zwar nicht in allen Folgestudien wiederholt, aber alle Studien seither zeigen, dass die Patient*innen durch die begleitende Palliativversorgung keinen Verlust haben, sondern im Gegenteil, dass sie Lebensqualität dazu gewinnen“, sagt Kreyer. Die Realität sieht teilweise anders aus. „Patient*innen werden manchmal sehr spät, oft in den letzten Tagen vor ihrem Tod, der Palliativversorgung zugewiesen“, berichtet die Pflegewissenschaftlerin. Einen Grund dafür sieht sie in mangelnder Kommunikation. Das Sprechen über Tabuthemen wie Tod und Sterben stelle Patient*innen, aber auch Angehörige und Fachkräfte des Gesundheitswesens vor große Herausforderungen. In Reden wir drüber wollen Kreyer und ihre Projektpartner*innen daher untersuchen, welche Kommunikationshindernisse es gibt und wie der Dialog über Palliativversorgung unterstützt werden kann. Finanziell gefördert werden sie dabei von der Ludwig Boltzmann Gesellschaft. Die Ludwig Boltzmann Gesellschaft startete im Frühjahr 2024 im Rahmen der EU-Mission Den Krebs besiegen in Österreich die Ausschreibung Cancer Mission Lab. Transdisziplinäre Projekte sollten gefördert werden, Vertreter*innen von Forschungseinrichtungen aller Disziplinen, Gesundheitseinrichtungen, Unternehmen, Vereinen und Patient*innenorganisationen sollten sich mit ihrer Expertise für ein Ideas Lab bewerben – eine von rund 80 Bewerber*innen war Christiane Kreyer. Die gebürtige Vorarlbergerin war dann auch eine von 29 Auserwählten, die sich im Juli 2024 für drei Tage zu einem Workshop trafen. „Ziel war, dass sich Teams bilden und Projektskizzen entstehen“, erzählt Kreyer, die einräumt, dass „Krebs eigentlich nicht so mein Thema ist“. Ihr Thema wurde es aber, als sich am ersten Tag mit Annibelle Call (Cancer Nurse am AKH Wien), Claudia Wenzel (Klinische Psychologin und Post-Doc-Forscherin der Medizinischen Universität Wien an der klinischen Abteilung für Palliativmedizin des AKH) und Agnes Mistlberger-Reiner (Kommunikationsexpertin beim Verein Open Science – Lebenswissenschaften im Dialog) und Kreyer vier Frauen fanden, die das Thema auf onkologische Palliativversorgung fokussierten, leitet sie doch an der UMIT TIROL den Arbeitsbereich Palliative Care. An Tag 2 wurden ein Projekt für einen verbesserten Dialog über Palliativversorgung skizziert und ein Finanzplan erstellt, an Tag 3 wurde vor einer internationalen Jury gepitcht. Reden wir drüber erhielt den Zuschlag, Projektstart war der 1. Jänner 2025. Spezialisierte Palliativversorgung wird in Österreich stationär und ambulant angeboten. Im Krankenhaus in Form von Palliativstationen oder eines Palliativkonsiliardienstes, der Patient*innen auf ihren jeweiligen Stationen betreut. Außerhalb des Krankenhauses unterstützen mobile Palliativteams, in Tirol z. B. eines pro Bezirk. „Dazu gibt es noch Palliativambulanzen und Tageshospize“, berichtet Kreyer, die mit ihren Projektpartner*innen das Wissen über das Angebot an Patient*innen, Angehörige und im Gesundheitswesen Tätige bringen will. Dafür gelte es, Barrieren zu überwinden. „Palliativversorgung wird immer mit Sterben in Verbindung gebracht. Sie ist aber nicht der Regen, sprich die schwere Erkrankung, sondern der Regenschirm, der Schutz bietet“, zitiert Kreyer einen Vergleich der kanadischen Ärztin Camilla Zimmermann. Als ersten Schritt will das Team auf einer „Patient*innenreise“ durch das Versorgungssystem jene Orte lokalisieren, wo die Barrieren am besten durchbrochen werden könnten. „Wann haben Patient*innen mit wem Kontakt? Wo könnten sie, aber auch Angehörige Informationen bekommen? Wann sind Ärzt*innen und Pflegepersonal damit konfrontiert?“, nennt Kreyer Beispiele. Diese „Reise“, so der Plan, soll dann Ärzt*innen, Pflegepersonen und andere Gesundheitsfachkräften vorgelegt werden, um deren Sicht, wo z. B. Patient*innen gut zu Information kommen könnten, einzuarbeiten. In einem weiteren Schritt wird Literatur und Praxis nach schon existierenden Kommunikationstools durchforstet, zudem werden Beteiligte vor Ort befragt, welche davon hilfreich sein könnten. Diese sollen dann weiterentwickelt und vor Ort getestet werden, als Partner stehen das Landeskrankenhaus Innsbruck und das AKH Wien bereit. Ziel ist ein Werkzeugkoffer mit praxistauglichen Kommunikationsformaten, der Fachkräften hilft, frühzeitig den Bedarf für Palliativversorgung zu erkennen und passende Maßnahmen zu initiieren. Ganz nach dem Motto: Reden wir drüber. PFLEGEWISSENSCHAFT
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