campus magazin 2025

UMIT TIROL [campus] 10 MEDIZINISCHE INFORMATIK Im Gesundheitsbereich ist die Digitalisierung nicht mehr wegzudenken, im Gegenteil, sie schreitet ständig voran: elektronische Krankenakte, Dokumentenmanagementsysteme, Online-Terminvereinbarungen, Apps für die Messung von Gesundheitsdaten, E-Rezept, Videosprechstunden, Telemedizin … Die Digitalisierung ermöglicht es auch, Patient*innen verstärkt in den Behandlungsprozess einzubinden. Sogenannte Patient*innenportale sollen als webbasierte Plattformen Patientinnen und Patienten die sichere Möglichkeit geben, online auf ihre von Krankenhäusern oder Arztpraxen bereitgestellte Daten – etwa Arztbriefe, Laborwerte oder Befunde – zuzugreifen. Darüber hinaus können Patient*innenportale auch weitere Funktionen erfüllen, etwa für die sichere Kommunikation zwischen Ärzt*innen und Patient*innen oder für Terminerinnerungen. „Oder als Navigationshilfe“, nennt Michelle Bindel, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Medizinische Informatik der Privatuniversität UMIT TIROL, ein weiteres Beispiel: „Fast jeder hat sein Smartphone immer dabei. Krankenhäuser könnten daher Patient*innenportale nutzen, um auf ihnen zu zeigen, wie man z. B. von einem Gebäude zum anderen, von einem Behandlungsraum zum anderen kommt.“ Die Möglichkeiten und der potenzielle Nutzen führen dazu, dass in vielen Ländern der Aufbau von Patient*innenportalen forciert wird: In Deutschland etwa sieht das Krankenhauszukunftsgesetz vor, dass Krankenhäuser bis 2025 über ein Patient*innenportal verfügen müssen bzw. dabei sind, eines zu implementieren – ansonsten drohen finanzielle Kürzungen. Folglich tummeln sich viele Anbieter für Patient*innenportallösungen am Markt . Doch wie wirken sich Patient*innenportale eigentlich aus? Beeinflussen sie die Patient*innenzufriedenheit? Bringen sie mehr Effizienz? Führen sie zu mehr Wissen über medizinische Risikofaktoren? Steigern sie gesundheitsbezogene Outcomes? Nur wenig bis gar nicht – zu diesem Schluss kommt eine im Jahr 2020 von Elske Ammenwerth, Leiterin des Instituts für Medizinische Informatik, und UMIT TIROL-Kolleg*innen durchgeführte Cochrane Review. Das Ergebnis dieser systematischen Übersichtsarbeit über relevante Forschungsarbeiten zum Thema sei durchaus ernüchternd, räumt Michelle Bindel ein, verweist aber auf einen Aspekt aller analysierten Forschungsarbeiten: „Es handelte sich um RCTs, randomisierte kontrollierte Studien.“ RCTs sind der Goldstandard in der Medizin, mit ihnen wird etwa die Wirkung eines neuen Medikaments im Vergleich zu einem etablierten oder einem Placebo nachgewiesen. Diese eindeutige Ursache-Wirkung-Beziehung sei aber bei einem Patient*innenportal, bei dem technische, organisatorische und soziale Komponenten eine Rolle spielen, nicht gegeben. „Von zehn Menschen nutzt es jeder anders,“ sagt Bindel. Insofern ist sie überzeugt, dass eine andere Analysemethode eine differenzierte Evaluierung ermöglichen und zudem die Implementierung und Nutzung von Patient*innenportalen optimieren könnte. Die Methode ihrer Wahl ist die Programmtheorie. Anders als ihr Name vermuten lässt, entstammt die Programmtheorie nicht der Informatik, sondern den Sozialwissenschaften und begründet im Detail, wie durch die Implementierung eines Programms Probleme bearbeitet und Ziele erreicht werden sollen. „Angewandt wird sie zum Beispiel bei der Umsetzung von bildungspolitischen Programmen“, erklärt Bindel. Zentrale Bestandteile der Programmtheorie sind unter anderem die Theory of Change (ToC) – ein methodischer Ansatz, mit dem die Schritte identifiziert und genau beschrieben werden, mit denen gewünschte Veränderungen in einem bestimmten Kontext erreicht werden sollen – und das Logic Model, das Wirkmodell: die visuelle Darstellung der Komponenten eines Programms oder einer Intervention und Nicht an der Realität vorbei Webbasierte Patient*innenportale bieten Patient*innen einen sicheren Zugriff auf ihre Gesundheitsdaten und sollen die Patient*innenzufriedenheit erhöhen. Ob dies auch zutrifft, kann mit gängigen Methoden nur unzureichend erforscht werden. Michelle Bindel wählt daher einen anderen Weg – das Wirkmodell. Fotos: Andreas Friedle Unser Ziel ist es, mit dem Wirkmodell die organisatorischen Prozesse eines Patient*innenportals und die Menschen dahinter so genau wie möglich abzubilden. Michelle Bindel „

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